Im Zweifel nie
Auf Landstraßen verunglücken bundesweit mehr Menschen tödlich als auf Autobahnen und Innerortsstraßen zusammen. Neben nicht angepasster Geschwindigkeit sind es häufig Fehler beim Überholen, durch die immer wieder Unfälle mit schweren Folgen verursacht werden. „Grundsätzlich sollte man sorgsam abwägen, ob Überholen überhaupt Sinn macht“, gibt Marcellus Kaup von TÜV SÜD zu bedenken: „Der Zeitgewinn, der durch häufiges Überholen erzielt werden kann, ist gering. Testfahrten auf Landstraßen haben laut dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat ergeben, dass sich die Fahrtzeit auf einer Strecke von 20 Kilometern selbst durch aggressives Überholen bei jeder sich bietenden Gelegenheit lediglich um durchschnittlich 1,5 Minuten verkürzen ließ.“
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden jährlich Jahr mehr als 13.000 Unfälle mit Personenschäden auf das Konto „Fehlverhalten der Fahrzeugführer“ beim Überholen gebucht. Darüber hinaus dürften zahlreiche weitere Unfälle ebenfalls mit Überholmanövern in Verbindung stehen, zum Beispiel wenn ein Fahrzeug nach einem Überholvorgang ins Schleudern gerät und von der Fahrbahn abkommt.
Rechtlich ist die Lage eindeutig. Überholen darf nur, wer übersehen kann, dass während des gesamten Überholvorgangs jede Behinderung und jede Gefährdung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Im Klartext: Der Überholende muss eine Sichtweite besitzen, die mindestens so lang ist wie der für den Überholvorgang benötigte Weg, zuzüglich der Strecke, die ein entgegenkommendes Fahrzeug während dieser Zeit zurücklegt.
Bestehen geringste Zweifel, gefahrlos überholen zu können, muss der Versuch unterlassen werden. Die für das Überholen benötigte Strecke wird nach den Beobachtungen des DVR häufig unterschätzt: Um einen mit 70 Kilometer pro Stunde (km/h) fahrenden Lkw auf der Landstraße zu überholen, benötigt ein Pkw-Fahrer unter Ausschöpfen der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eine Strecke von etwa 350 Metern, wenn er vor und nach dem Überholvorgang die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände zum Überholten einhält. Da er immer damit rechnen muss, dass während des Überholens Gegenverkehr auftaucht, muss er mindestens die doppelte Strecke, also 700 Meter, einsehen können, wenn das Überholmanöver nicht zum unkalkulierbaren Vabanque-Spiel werden soll.
„Bei unklarer Verkehrslage, vor unübersichtlichen Stellen, bei Aquaplaninggefahr, schlechter Witterung oder ungenügender Sicht sollte grundsätzlich nicht überholt werden“, appelliert Marcellus Kaup von TÜV SÜD. Das gleiche gilt, wenn unklar ist, ob nach dem Überholen eine Lücke zum Wiedereinscheren vorhanden ist. "Im Zweifel nie" lautet also die Devise, mit der lebensgefährliche Situationen auf der Landstraße verhindert werden.